DIE GEDENKSTÄTTE FÜR SOWJETISCHE KRIEGSGEFANGENE IN GUDENDORF – ERINNERUNG IM KALTEN KRIEG

  • Verena Meier

Abstract

Das Schicksal der sowjetischen Kriegsgefangenen, der zweitgrößten Opfergruppe nationalsozialistischer Gewaltverbrechen, spielt in der bundesdeutschen Erinnerung nur eine marginale Rolle. Bundespräsident Joachim Gauck äußerte 2015, dass ihre Geschichte in einem „Erinnerungsschatten“ liege. Das Regionalbeispiel Gudendorf zeigt indes, dass dies nicht überall der Fall war, die Erinnerung an sowjetische Kriegsgefangene mitunter gar aktiv geschichtspolitisch genutzt wurde.

In Anlehnung an das Analyseraster der „Geschichtspolitik“ werden die durch Erinnerungspraktiken vermittelten „Geschichtsbilder“ unterschiedlicher Akteure untersucht, die ab 1945 in drei Phasen Geschichtsdeutungen für politische Zwecke nutzten: In der ersten Phase bis 1949 errichteten die britische Militärregierung und die sowjetische Militärkommission ein Ehrenmal für die verstorbenen sowjetischen Kriegsgefangenen. Die zweite Phase von 1949 bis 1983, in der Gudendorf seine zentrale Rolle erhielt, war vom erinnerungspolitischen Engagement der Bundesregierung, der schleswig-holsteinischen Landesregierung und des Volksbunds Deutsche Kriegsgräberfürsorge geprägt. In einer dritten Phase ab 1983 nutzte die Graswurzelinitiative „Blumen für Gudendorf“ die Gedenkstätte als Plattform, um an das Schicksal sowjetischer Kriegsgefangener in deutschem Gewahrsam zu erinnern und gleichzeitig vor einem erneuten Krieg zu warnen. Da die meisten Mitglieder dieser Initiative auch in der Friedensbewegung aktiv waren, verbanden sich Bemühungen um die historische Aufarbeitung und erinnerungskulturelle Praktiken im Kontext des Kalten Krieges mit politischer Agitation. Die Auseinandersetzungen um die ersten beiden Denkmäler, ihre Gestaltung und die durch sie vermittelten „Geschichtsbilder“, die vor dem Hintergrund der Berlin-Blockade und der Errichtung der Berliner Mauer ausgetragen wurden, machen dies ebenso deutlich wie die Friedensbewegung und die Initiative „Blumen für Gudendorf“, die im Kontext des NATO-Doppelbeschlusses von 1979 zu sehen sind.

Gefragt wird ferner, inwieweit Geschichtsbilder über verschiedene Akteursgruppen und Phasen hinaus transferiert wurden, welche Motivationen jeweils hinter den verschiedenen Erinnerungspraktiken standen und in welchem Kontext sie zu verstehen sind. In den ersten beiden Phasen wurde vor allem über die Verwendung nationaler Symboliken, die Bezeichnung der Opfer und der Umstände ihres Todes in deutscher Kriegsgefangenschaft gestritten: Während die sowjetische Gräberkommission betonen wollte, dass Sowjetmenschen „in faschistischer Gefangenschaft“ gestorben seien, forderten mehrere Kreise in Schleswig-Holstein und Niedersachsen, es müsse „in deutscher Gefangenschaft“ heißen. Schließlich sprach die Inschrift verschleiernd von „sowjetischen Bürgern“, stand aber im Einklang mit dem nationalen Narrativ der Sowjetunion, in dem die Partisanen und Rotarmisten als Befreier Europas vom „Faschismus“ geehrt wurden, während Kriegsgefangene als potenzielle „Vaterlandsverräter“ galten. Das zweite Denkmal bot keinen Hinweis auf die Todesumstände der Gefangenen und entsprach dem Verlangen der frühen Bundesrepublik, deutsche Schuld zu beschweigen bzw. einen „Schlussstrich“ zu ziehen.

Mit dem Ausbau zur zentralen Gedenkstätte für sowjetische Kriegsgefangene in Schleswig-Holstein und den Umbettungen sowjetischer Kriegsgefangener aus dem ganzen Bundesland um 1958 gelangte das Landesinnenministerium zu der Erkenntnis, dass in Gudendorf während des Krieges rund 3 000 sowjetische Kriegsgefangene verstorben seien und die Zahl der Opfer eine erheblich größere Dimension hatte als die 40 bis 350 Toten, von denen man in den frühen Nachkriegsjahren ausgegangen war. Die höhere Zahl propagierten vor allem die Akteure der dritten Phase, die sich für eine Aufarbeitung der NS-Verbrechen an den sowjetischen Kriegsgefangenen einsetzten. Das dabei geprägte Bild vom „Sterbelager“ in Gudendorf ist bis heute wirksam, obwohl neue Forschungen dies inzwischen differenzieren und widerlegen konnten.

Schlagwörter: Sowjetische Kriegsgefangene, Denkmäler, sowjetische Gräberkommission, Kalter Krieg, Geschichtspolitik.

Author Biography

Verena Meier

M. A., is a Doctoral Candidate at the Research Center on Anti-Tsiganism at Heidelberg University. She also works on behalf of the local authority of Gudendorf and the initiative “Flowers for Gudendorf” (Schleswig-Holstein, Germany) on a documentation about the PoW camp and the memorial for Soviet prisoners of war located there

Published
2019-12-15
Section
SECTION 4. REMEMBERING THE SECOND WORLD WAR: GERMAN PERSPECTIVES